King Artura

guido

Die Tafelrunde im britischen Woking hat einen neuen König auf dem Hybrid-Thron sitzen. Neben GTS, 750S, Elva, Speedtail und zahlreichen offenen Derivaten tritt der Artura nach 10 Jahren die legitime Nachfolge des legendären P1 an. Nicht ganz so leistungsstark, nicht ganz so brutal, aber wieder ein verflucht schnelles Hypercar, das nicht nur durch seine Performance, sondern auch durch sein elegant-aggressives Design besticht. Und erstmals auf einen V6 statt wie gewohnt auf einen V8 setzt.

Bis dato brillierten die McLaren-Fahrzeuge mit ihren zunächst 3,8, und zuletzt 4-Liter großen V8-Biturbo-Aggregaten. Maschinen, die immer wieder für eine neue Evolutionsstufe mit noch mehr Leistung gut waren. Neben den Motoren fanden sich in fast allen Modellreihen mehr oder weniger altbekannte Komponenten wieder, die geschickt kombiniert sowohl für die Supercars wie auch die Hypercars zum Einsatz kamen. Bei dem neuen PHEV (Plug-in-Hybrid) mit seinem klangvollen Namen Artura ist hingegen so gut wie alles neu entwickelt worden.

Beginnend bei der Plattform: der McLaren Artura ist das erste Serienfahrzeug des Unternehmens, das auf der neuen McLaren Carbon Lightweight Architecture (MCLA) basiert. Sie vereinigt einen leichtgewichtigen Kohlefaser-Monocoque mit einem ebenfalls komplett neu entwickelten Antriebsstrang.
Dieser setzt sich aus einem Biturbo-aufgeladenen 3,0 Liter-V6-Motor und einem tatkräftig unterstützenden Elektromotor zusammen. Gemeinsam produzieren sie so eine durchaus beachtliche Leistung von 500 kW/680 PS und ein maximales Drehmoment von 720 Nm.

Derart gerüstet, stürmt der Artura in nur 3 Sekunden von 0 auf 100 km/h und erreicht eine Höchstgeschwindigkeit von elektronisch begrenzten 330 km/h wobei der Sprint von 0-300 gerade einmal 21,5 Sekunden dauert.
Nicht nur, dass der Artura damit ähnlich zügig wie sein Urahn, der McLaren F1 – der allerdings bei gleicher Leistung über die doppelte Zylinderzahl verfügte – unterwegs ist, er ist auch seinen aktuellen V8-Brüdern absolut ebenbürtig. Nicht nur was die Kraftentfaltung, sondern auch den orchestralen Auftritt angeht. Dank der serienmäßigen Sportauspuffanlage kreiert der Artura seine eigene V6-Melodie, akustisch ähnlich betörend wie die der V8.
Dies beruht mitunter an der Bauweise des M630 genannten Motors mit seiner um 120° geneigten Zylinderanordnung, die einen niedrigeren Schwerpunkt des Fahrzeugs garantiert. Der weite Winkel der V6-Zylinder ermöglicht es so den beiden Turboladern, in einer „Hot Vee“-Konfiguration in den Zylinderbänken zu sitzen, was auch der Effizienz zugutekommt, das Abgaslayout ist dadurch freier und daher weniger restriktiv.
So liefert der neue V6 für sich alleine deftige 585 PS und 585 Nm Drehmoment, ist dabei 190 mm kürzer und 220 mm schmaler sowie 50 kg leichter als die 4,0-Liter-Twin-Turbo-V8. Und ganz nebenbei klingt er eben durchaus faszinierend – bis rauf zu seinem bei 8.500 Umdrehungen liegenden Begrenzer.

Seine Gesamtleistung erreicht der Artura mit einem E-Motor im Axial-Flux-Design, der gerade einmal die Größe einer McLaren-Bremsscheibe vorweist, 15,4 kg wiegt und dafür durchaus beeindruckende 95 PS und und den Rest zu den 720 Nm Drehmoment beisteuert. Sein 7,4-kWh-Lithium-Ionen-Batteriepaket mit fünf Modulen soll für 30 Kilometer E-Reichweite nach WLTP gut sein. Im Stadtverkehr absolut realistisch, allerdings ist der Wagen im reinen E-Modus lange nicht so schnell, dafür nachbarschaftsfreundlich leise.
Ökonomisch gesehen schafft es der Hybrid bei lockerer Fahrweise auf einen Durchschnittsverbrauch von 10 Liter, bei zurückhaltender, entspannter Fahrweise zeigte der Bordcomputer rekordverdächtige 7,9 Liter an. Wohlgemerkt in einem Supersportwagen! Natürlich sind auch Werte um die 13 Liter realistisch, je nach Fahrstil.
Genug von Theorie und Technik, in der Praxis muß sich der Artura beweisen. Startet man den Motor, vernimmt man zunächst nur ein Summen, denn bei Inbetriebnahme ist erst einmal immer der EV-Modus ausgewählt, durch Wechsel in den Comfort-, Sport- oder Track-Modus, läuft dieser erst einmal eine ganze Weile beharrlich auf 1.500 Umdrehungen, ohne zum Vortrieb des Autos etwas beizutragen. Denn: sowohl die Katalysatoren wie auch die restliche Komponenten müssen erst auf Betriebstemperatur gebracht werden, bevor das System komplett zur Verfügung steht. Bei allem Dasein als Supersportler kann sich auch der McLaren Artura aktuellen Emissionsvorschriften nicht widersetzen. Doch sobald sich alles akklimatisiert hat, heißt es “Feuer frei” – der Artura ist bereit für den Ritt auf der Kanonenkugel.

Diese besteht allerdings Dank angekreuzter Optionshäkchen in der Bestellliste in erster Linie aus Alcantara und Karbon, mit Schalensitzen, die nur in der Horizonalen sowie im Neigungswinkel verstellbar sind. Sitzfläche und Lehne sind durchgängig eins.
Das Lenkrad, das wirklich einzig und allein die Aufgabe hat, die Richtung vorzugeben, läßt jedes Sportwagenfahrerherz höher schlagen. Damit läßt sich der 1.395 kg leichte Artura durch wirklich jede Kurve zirkeln. Damit und durch McLarens erstes elektronisch gesteuertes Differential. Dieses erhöht nicht nur die Agilität des Artura, sondern half den Ingenieuren auch in Sachen Elektronik neue Register zu ziehen. Mittels einfachen Tastendruck im Cockpit kann die Traktions- und Stabilitätskontrolle des Autos nämlich von „voll“ in zwei Stufen reduziert werden, auf „dynamisch“ oder auf „off“. Der Clou an der mittleren Stufe: ist diese ausgewählt, kann über das zentrale Touchdisplay des Autos der maximal erlaubte Driftwinkel in 15 Stufen justiert werden, wobei die höchste schon durchaus dazu taugt, durchs Seitenfenster den Kurvenausgang anzuschielen.
Die Geradeausbeschleunigung ist bereits brachial, doch die Kurventempi sind aus einer anderen Welt. Als “normaler’ Fahrer bringt man vermutlich nie den vollen Mumm auf, diesen Wagen im Grenzbereich zu fahren. Bei manch extrem schnell gefahrenen Kurve merkt man am Ausgang, da wäre noch mehr gegangen. Der Seitenhalt ist immens, die Sitzposition tief, die Übersicht hervorragend und die beiden links und rechts neben dem Tacho angebrachten Wahlschalter für Fahrwerks- und Antriebssetup immer in Reichweite der Fingerspitzen. Hier kann übrigens auch das Fahrwerk mit seinen adaptiven Dämpfern justiert werden, wobei die mögliche Spreizung von „für ein Supercar echt bequem“ bis hin zu „steißbeinhämmernd“ reicht.
Egal in welchem Drehzahlbereich, die acht Gänge der Doppelkupplungs-Automatik liefern superschnell und präzise ab. Und es kommt sogar ohne Rückwärtsgang aus. Denn dem E-Motor an Bord ist es gleich, in welche Richtung dieser sich dreht. Dadurch konnten kompakte Ausmaße erreicht und gleichzeitig die Effizienz des Autos erhöht werden. Merke: Rückwärts einparken übernimmt komplett der E-Motor, bei allem das Spaß macht, spielt der Verbrenner die erste Geige. Doch keine Sorge: Selbst wenn der Bordcomputer keine verbleibende Reichweite in den Akkus anzeigt, muss man keine Angst haben, den Wagen selbst rückwärts in die Garage schieben zu müssen. Dafür gibt’s immer genügend Strom-Reserven.

Aufladen läßt sich der Akku herkömmlich an Steckdosen oder Ladesäulen, am Einfachsten und Effektivsten ist jedoch der Sportmodus im Fahrbetrieb, da geht es ratzfatz. Ein Kabel benötigten wir während der Testtage zu keinem Zeitpunkt.
Ja, der Artura ist fahrerisch, technisch, emotional und sogar ökonomisch eine Offenbarung. Was sein Fehrwerk betrifft, vermutlich der agilste Straßen-McLaren, der aktuell erhältlich ist.
Aber er kostet auch Geld, und nicht zu wenig. Bei 248.573 Euro beginnt der Fahrspaß, wer Wert auf diverse Extras wie etwa das fantastische Bowers & Wilkins Soundsystem legt, knackt schnell die 300.000 Euro-Marke. Oder er investiert mindestens 273.073 Euro und leistet sich den brandneuen, offenen McLaren Artura Spider. Dafür gibt es 6 Jahre/ 75.000 km Garantie und 5 Jahre auf die Batterie.
Fazit: McLaren setzt mit dem Artura dem Fahrspaß die Krone auf. Sein V6 läßt einen den V8 nicht missen. Der Antrieb ist auf höchstem technischen Niveau, Fahrwerk und Fahrverhalten unfassbar agil. Dazu ein Verbrauch, den man so nicht erwartet hätte. Einziger negativer Punkt: Irgendwann muß man auch wieder aussteigen. Lang lebe König Artura!